Danke, Carl von Gablenz!

CargoLifter ist pleite, der Vorstand entmachtet, die Aktie ist zum Penny Stock geworden. Und für diese „Leistung“ gibt es ein Dankschreiben der CargoLifter-Aktionäre an den Vorstand? Unter dieser Überschrift erwartet man doch eher böswillige Satire und hämische Abrechnung. Schließlich sind wir ja in Deutschland. Aber wer sich jetzt genüsslich auf eine saftige Ohrfeige für den „Blimp-Baron“ freut, den müssen wir enttäuschen.  

Es ist ernst gemeint: „Danke, Carl von Gablenz.“

Die Liste seiner Verdienste ist lang. Er hat ein innovatives Projekt erdacht und aufgebaut. Ein Unternehmen, das zuerst verlacht wurde und dessen Forschungs- und Entwicklungsleistung jetzt sehr ernst genommen wird. Er hat es geführt, von der Idee bis zur Realisierungsphase.

Dass die Leichter-als-Luft-Technik mittlerweile von Konzernen wie Boeing und Lockheed Martin sehr genau beobachtet wird, das hat Carl von Gablenz bewirkt.

Fazit: Ohne staatliche Technologieförderung hat er ein Luftfahrtprojekt initiiert, das in einer Nischensparte weltweit führend ist. Und ganz nebenbei hat er dabei etwas bewiesen, dass seinen Kritikern und unseren Politikern meist fehlt: Führungsstärke, Unternehmergeist und Risikobereitschaft.

Wenn Politiker darüber lamentierten, dass die Unterlagen aus dem Hause CargoLifter nicht ausreichten, um Fördergelder (der Staat gab 44 Mio. der insgesamt 320 Mio. €) für eine neue Technik zu bewilligen, dann muss man sie fragen, auf welcher Grundlage sie denn 1998 Födergelder verteilt haben? Man muss fragen, wie sie sich damals über den Projektfortschritt infomiert haben und weiter regelmäßig informieren ließen. Man erfährt dann, dass sie nie Berichte angefordert haben, dass es 1998 keine Unterlagen gab. Schon gar keine, die den heute geforderten Standards entsprechen. Tatsächlich gab und gibt es nämlich bis heute keine Standards und Vorgaben von den Ministerien. Sie fordern nur mal so ins Blaue. Man erfährt, dass bisher nur die Schaffung von Arbeitsplätzen, nicht die Technologie gefördert wurde. Da hätte von Gablenz ja auch eine Bäckerei eröffnen können oder ein Kohlebergwerk. Das ist zwar weniger zukunftsträchtig, aber förderfähig. Dass die Standards fehlen und die kritische Presse nicht nachfragt, ist für Politiker praktisch, denn so kann man einmal positiv und dann wieder negativ entscheiden, ganz nach Gutdünken und Kassenlage. Und die Medien mit Augenrollen und Kopfschütteln beeindrucken. Das klappt sehr gut, denn wenn jemand bei Deutschlands Medien noch weniger Chancen auf Fairness hat, als der Politiker selbst, dann ist es ein Unternehmer. Bei Unternehmern setzt der mediale Beißreflex mit absoluter Gewissheit ein. Bei Unternehmern und Firmen gilt für deutsche Journalisten: Lieber 20 mal zu schlecht, als ein mal zu positiv berichten. Wir Deutsche können uns dieses Heer voneinander abschreibender, dilettierender Besserwisser als Hofnarrenersatz offenbar immer noch leisten (es gibt natürlich auch Ausnahmen, leider sind es wirklich nur Ausnahmen).

Gerade der Fall CargoLifter beweist, auf welch katastrophal niedrigem Stand die Recherchekultur und Medienethik (auch jenseits von Themen mit Hysteriebonus wie Uschi Glas, Naddel und Möllemann/Friedmann) in Deutschland angekommen ist: nämlich im Keller. Genau wie unser Land im internationalen Vergleich.

Besteht da vielleicht ein Zusammenhang? Könnte es sein, dass Miesreden, Dauerhäme und Desastergeilheit nicht der Boden sind, auf dem Zukunftsvisionen gedeihen können? Die Liste der öffentlichen Fehlbehauptungen ist lang: Der CargoLifter ist 200 Tonnen zu schwer, wird vereisen, ist zu windempfindlich, kann keine Triebwerke bekommen, ist zu groß, kann nicht am normalen Luftverkehr teilnehmen ... – alles kompletter Quatsch und alles bundesweit immer wieder „berichtet“. Die Medien glichen ihren Kenntnisstand nicht an Fachleuten ab, sondern an den lautesten Schreihälsen mit den „krassesten Statements“ – und danach nur noch untereinander. So drifteten sie langsam aber stetig Richtung Absurdistan ab und blieben sich trotzdem immer schön einig.

Man kann Carl von Gablenz vorwerfen, dass seine Öffentlichkeitsarbeit ab Ende 2000 erfolglos war. Das ist ein Argument gegen seine Öffentlichkeitsarbeit, aber kein gutes Argument für die Medien. Wenn es immer Vollprofis vom Schlage eines Medientherapeuten auf der Opferseite braucht (also beim Presse-Lustobjekt), um auch nur annäherungsweise in den Medien so etwas wie Wahrheit zu produzieren, wie ist das dann bei Themen, die nicht von PR-Profis „betreut“ (also gesteuert) werden? Und wieviel Wahrheit bleibt eigentlich übrig, wenn PR-Profis „erfolgreich“ sind? Wie zuverlässig versorgt uns unser Informationssystem, das immerhin die Arbeitsgrundlage unserer Demokratie ist, mit Fakten, auf denen unsere vernünftigen Urteile beruhen sollen? Müssten unsere Medien nicht, um ihre Aufgabe zu erfüllen, selbst dann funktionieren, wenn die Journalisten es nur mit Volldeppen zu tun haben? Denn nur wegen dieser Informations-Aufgabe haben sie ihre verfassungsmäßigen Sonderrechte. Pure Geldgier ist nicht durch Artikel 5 Grundgesetz geschützt. Wenn ein Arzt einen behinderten Taubstummen untersucht und wegen falscher Diagnose zu Tode behandelt, sagen wir dann auch, der Patient sei selbst schuld, er hätte eben etwas intelligenter kommunizieren müssen?

Ansonsten: Was hat Carl von Gablenz so fürchterlich falsch gemacht? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, und das allein ist Antwort genug. Sicher war es im Nachhinein keine gute Idee, mit einem Entwicklungsprojekt an die Börse zu gehen. Denn seitdem wird CargoLifter nicht mit Airbus (ca. 10 mal so teuer wie anfangs behauptet, Fertigstellungstermin des ersten Prototyps ca. 15 mal verschoben, 100 Prozent staatsfinanziert) verglichen, sondern mit Nestlé oder der Telekom. Aber: Haben nicht gerade wir Aktionäre darauf gedrängt? Sicher scheint da beim schnellen Aufbau des Unternehmens etwas in der Struktur nicht so richtig geklappt zu haben. Aber haben wir nicht noch im März 2002 auf der Hauptversammlung mit 98 % für das Management gestimmt? Haben wir genau wie Carl von Gablenz die deutlich sichtbaren Zeichen an der Wand übersehen? Es scheint im Nachhinein so.  

Sollten wir unseren Zorn über das verlorene Geld also wirklich hauptsächlich auf den Mann richten, der das Unternehmen aufgebaut hat und dann, zugegeben, wahrscheinlich auch gegen die Wand gelenkt hat? Das wäre zu bequem für all die Verantwortlichen in Industrie und Politik, die jetzt zuschauen, wie eine Innovation für Deutschland, die 70.000 Kleinaktionäre aus ihrem Portemonnaie finanziert haben, meistbietend ins Ausland verschleudert wird. Wieder einmal gilt: die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit war und ist innovativer, klüger und mutiger als die Regierenden. „Wir sind das Volk.“ Der Geist, der hinter diesem Satz stand, ist zu schnell beerdigt worden. Jetzt bräuchten wir ihn wieder, auf jeden Fall dringender als die nächste Bundestagswahl.

Was ist das Versagen beim Lenken eines Unternehmes in schlechter Großwetterlage gegen die Schuld, diese Wetterlage herbeigeführt zu haben? Dass es jetzt Insolvenzen und Pleiten hagelt, liegt das wirklich daran, dass zu viele Unternehmer und Menschen in Deutschland so innovationsfreudig, so mutig und so risikobereit wie Carl von Gablenz waren? Lernen wir daraus, dass wir uns noch langsamer bewegen, dass wir noch vorsichtiger agieren und noch zurückhaltender investieren sollten? Sollen wir wirklich die wenigen Führer, die vorangehen und dabei Fehler machen, härter bestrafen als die, die überhaupt nichts machen? Das wäre doch wohl das falsche Signal ...

Deswegen, trotz allem: Danke, Carl von Gablenz!